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Meine Bushaltestelle

Es gibt in Puebla (und überhaupt in Mexiko) nur sehr wenig Bushaltestellen. Warum auch? Der Bus hält ja sowieso an jeder Strassenecke, mitten auf der Strasse oder quer auf der Kreuzung – ausser es steht grade zufällig ein Polizist in der Nähe.

Direkt bei meinem Haus gibt es eine Bushaltestelle! So richtig mit Dach und Werbetafel – wenn auch ohne Fahrplan, denn sowas existiert in Mexiko für lokale Busse  nicht. Die Menschen freuen sich anscheinend über diese Haltestelle, denn sie wird sehr frequentiert, ständig halten Busse dort (wortwörtlich!) und ich selber habe mich schon daran gewöhnt morgens einen leichten Schlenker nach Links zu machen, um zur Haltestelle zu kommen.

Bis dann vor drei Tage auf einmal ein gelbes Band die Wartehäuschen absperrte. Das Band war schon am Tag davor dagewesen und von mir wie von allen anderen geflissentlich ignoriert worden. An diesem Tag aber standen ausserfem noch zwei Verkehrspolizisten an der Haltestelle (die stets ein erstaunliches Repertoir verschiedener Töne aus ihrer Trillerpfeife holen) und verscheuchte alle Buslustigen. Hier sei keine Haltestelle mehr. „Und wo dann?“, „da drüben“ sagte er mir und verwies mich eine Strasse weiter.

Da ich ein gesetzes- und ordnungstreuer Bürger bin (mein Vater sagt jetzt bestimmt sarkastisch „Mitläufer“) nahm ich meinen Bus in den folgenden Tagen an der angewiesenen Stelle, musste jedoch mit Verwunderung feststellen, dass die von wild trillernden Polizisten umschwärmte Haltestelle immernoch frequentiert wurde. Die schlimmstmögliche Konsequenz dieses ordnungswiedrigen Verhaltens schien zu sein, dass einem das Trommelfell weggetrillert werden könnte, doch eigentlich wurde eher weggeschaut.

Heute schliesslich ist das gelbe band verschwunden, und die Polizisten auch. Der Spuk ist vorbei, die Schlacht ist geschlagen – die Macht der Gewohnheit hat gegen die mexikanische Verkehrspolizei gewonnen. Nicht sehr überraschend…..

Mein Ausflug ins Landleben

„Los geht´s Philipp, wir fahren mit meiner Familie weg!“
„Wohin und weswegen?“
„In irgendsoein Dorf, ich glaub, es ist ne Taufe.“
 
Schliesslich war es doch keine Taufe, sondern eine Abiturfeier, doch zumindest ein Dorf. Etwa eine Stunde von Puebla entfernt, scheinbar namenlos, offensichtlich Asphaltlos aber dafür sehr mexikanisch!

Ver mapa más grande

Und so fuhren wir am frühen Morgen los, um auch pünktlich zur Messe zu sein. Das waren wir auch – ein Grossteil der Absolventen jedoch nicht. Macht nichts, die Kirche war so gerammelt voll, dass zwanzig Absolventen mehr oder weniger sowieso nicht auffiehlen….
Ich muss zugeben, ich finde Kirchgänge nicht wirklich spannend. Und was der Pfarrer zu sagen

es wird gekocht, in den typischen Tontöpfen

 hatte, verstand ich schon rein akkustisch kaum. Nur, dass er die Schüler warnte: „97 Prozent von euch werden zu nichts gut sein“ und sie dann dazu anregte, nicht in die Ferne zu schweiffen, wo die lokale Fachhochschule doch so gute Chancen im IT Bereich böte.

Nach der Kirche war erstmal das Frühstück dran. Lag die Kirche noch im etwas grösseren „Oriental“ so wurde uns das Frühstück in eben erwähnten asphaltlosen Dorf serviert – ganz mexikanisch: Hühnersuppe mit Tortilla.

Nach dem Essen dann wieder ganz schnell zurück nach Oriental, wo die grosse Show losging: In der grossen Dorfhalle (erinnerte mehr an einen Landmaschinenunterstand) hatte sich das Kommittee des Ministeriums für Ausbildung aufgestellt um den Einmarsch der Schüler zu zelebrieren.

Dann gab es Geschrei – einige beschuluniformte Schülerinnen trugen die mexikanische Fahne herein, schrieen andere beschuluniformierte Mädchen an und diese schrieen zurück. Im Namen des Ministeriums für Erziehung würde hiermit die Fahne übergeben, schrieen die einen, die anderen begrüssten dies ausdrücklich und gelobten sie zu ehren.

Die Absolventen marschieren in ihren Talären ein

Dann wurden den einen von den anderen die Fahne entrissen, jene marschierten klatschenden Schrittes hier hinaus, diese ebenso lärmend dort hinaus. Jetzt erklang die mexikanische Hymne, in voller Länge, danach die poblanische. Schliesslich erhob man die Hand, um dem Vaterland die Treue zu schwören. Fertig.

Was danach folgte war ein Wechselspiel aus Urkundenverleihung und dem Auftritt einiges gitarrenschindenen Knabenchores der mexikanische Volkslieder zum Besten gab.

Juliane und ich nutzen die Zeit, um uns aus dem Staub zu machen und die Umgebung zu erkunden. Leider gab es da nicht so viel zu sehen…

eine der wenigen Zugstrecken, die in Mexiko in Betrieb sind.

Die Hauptattraktion war da vielleicht die Zugstrecke… Aber auch dort rollte nicht so viel.

Zum Glück war die Zeremonie auch bald vorbei und wir schon wieder in unser kleines Dörfchen, aus dessen staubiger Strasse die neugelegten Kanalisationsdeckel ragten.

Und wieder wurde geschmaust, Hühnchen in Mole (einer Sosse die unter anderem Schokolade enthällt), Reis und Barbacoa (Schafsfleisch in scharfer Sosse). Währenddessen und danach und davor wurden uns ständig neue Onkels und Tanten vorgestellt, das ganze Dorf schien nur aus einer Familie zu bestehen. Ein Onkel lud uns in sein Haus ein, Pflaumen probieren. Die Bäume in seinem Garten hingen voll von der Frucht, wir pflückten und pflückten und ich machte schliesslich in meinem Projekt eine feine Marmelade davon…

Gabis Papa hilft mir, die Pflaumen vom Baum zu holen

Zurück im Haus von Gabis Nichte wird das Sofa aus dem haus geschleppt, ein bisschen Sonne darf schon sein. Denn das Klima war eher frisch und die mexikanische Bauweise (Betonkasten mit Löchern für Fenster und Türen) hält die Innenräume üblicherweise feucht und kühl. Ein Effekt, der einem in heisseren Gegenden evtl. gefallen kann, in weiten Teilen von Puebla aber nur zu muffeliger Kleidung führt.

Die Atmosphäre des Dorfes ist schwer wiederzugeben. Die sandigen Strassen, Maisfeldchen im Vorgarten, Puten auf dem Boulevard, die rohen Betonbauten einer am anderen, der Geruch von verbrannten Abfällen, die Abwasserrinsale auf der Strasse (nicht jeder will sich an die kanalisation anschliessen), vorbeireitende Rinderhirten, Kinder die mit den freilaufenden Schweinen spielen, eine Kuh und ein Kalb an den Baum gebunden, ein Gattertor aus Autoteilen, Pferdekutschen mit Klee beladen, ein Opi sitzt vor der Tür, Cowboyhüte, Tiere die voller Stolz, aber in engen Gattern und in der eigenen Scheisse gehalten werden, sich die Hand von Pferdezungen abschlecken lassen, Pflaumen frisch vom Baum naschen, die Kinder reiten ne Runde, die Papas schlürfen Tequila, Cousinen stellen sich einander vor, ein Schafspelz hängt zum trocknen…..

drei Freunde

 

 

 

 

Juliane und Amanda haben die Zukunft ihrer Hühnersuppe im Blick

Mitnichten ein Kaktus sondern ein Nopal. Essbar. Auf die kleinen Früchte, die Tunas heissen

Warum gibt´s so lustige Hüte nicht in Deutschland?

Juliane und ihr "Bruder", daneben der Eingang zur Küche

So ganz überwunden hat sie ihre Pferdeskepsis nicht...

Mein Dankeschön

Auch wenn es sich für mich immer noch nicht so anfühlt – ich mache hier in Puebla

Ich und mein Lieblingsschueler Jahaziel

ehrenamtliche Arbeit, einen

Freiwilligendienst eben, und ich helfe Menschen, die Hilfe benötigen. Wie wenig weit entwickelt mein Projekt ist, und mit wie vielen Schwierigkeiten, vor allem finanzieller Art, die Schule zu kämpfen hat ist mir erst bewusst geworden, als wir gestern ein Video des deutschen Projektes Neuerkerode gesehen haben.

Auf einmal werden einem Dinge wieder bewusst, die man schon für ganz normal gehalten hat. Etwa, dass das Klo in

un

serer Schule mit dem Eimer gespühlt wird, dass einige Bereiche nicht mit dem Rollstuhl zu erreichen sind, dass immer mal wieder ein Schüler nicht mehr zur Schule kommt, weil die Eltern das Schulgeld nicht bezahlen können.

In Neuerkerode, so sagte zumindest der Sprecher im Video, gibt es fast eine 1 zu 1 Betreuung. In Neuerkerode  üben die Bewohner Berufe aus. In Neuerkerode gibt es ein medizinisches Zentrum in dem die Bewohner rund um die Uhr Hilfe suchen können. Es

Alberto hat sich schik gemacht – auch sonst traegt er am liebsten eine Krawatte, da kann man so schoen dran knabbern 😉

gibt ein Cafe, Rockbands, Baeckereien und und und…. Zeit zum träumen.

In Cipaac , Puebla, Mexiko fehlt noch immer das Geld, um dem Bulli einen neuen Reifen zu kaufen – und so fahren wir seit einem Monat mit dem Reserverad durch die Gegend. Keine Ahnung, was passiert, wenn der auch platt ist! In Cipaac wurde der wöchentliche Kochkurs nicht gestrichen, aber auf kalte Küche umgestellt, weil das Geld für Gas fehlt. In Cipaac schreibt Maestra Alejandra jedem Schüler die Aufgaben aus einem Buch ab, weil man es sich nicht leisten kann, die Seiten zu kopieren.

Um so wichtiger ist jeder Cent, der von jeder erdenklichen Seite ins Projekt fliesst. Darum malen die Schüler zum Beispiel jeden Mittwoch fleissig Stofftaschen an, die dann für ein paar Münzen verkauft werden. Einen Teil davon dürfen die Schüler als Taschengeld behalten, der andere Teil fliesst in Stromrechnungen und Lehrergehälter.

Und dann das: Philipp drückt einem Deutschlandreisenden einen Haufen Taschen in die Hand, der schickt sie nach Halver wo sie im mütterlichen Laden verkauft werden sollen. Oma Erna sieht das, nimmt mit ihrem unnachgiebigen Verkaufstalent die Sache in die Hand und bringt die Dinger an den Mann. Was für eine Oma! In Mexiko verkauft sich eine Tasche für zwei Euro, wenn der Käufer gute Laune hat, meine Oma hat durchschnittlich 10 rausgeholt und noch ne ordentliche (!!!!!!!) Stange Geld aus eigener Tasche draufgelegt.

Zeit zu sagen: Danke Oma!! Vielen, vielen Dank liebe Oma für so viel Engagement, für die Leidenschaft und die erpresserischen Metoden mit denen du Nachbar Pit das Geld aus der Tasche gezogen hast. Es ist angekommen und wir in diesen Sommerferien in die modernisierung der Schule gesteckt und auch die Lehrerinnen erhalten hoffentlich endlich ich verspätetes (und sehr knappes) Gehalt. Danke!

Gleichzeitig möchte ich alle anderen, die noch den ein oder anderen Cent in der Tasche finden, dazu anregen, Stifter eines Stipendiums zu werden. Cipaac hat Platz für mehr Schüler. Cipaac möchte mit mehr Schülern arbeiten – nur können sich leider nicht sehr viele Familien das Schulgeld leisten, auch, wenn es viel weniger als hundert Euro im Monat sind.

In Kürze erfahrt ihr hier auf dem Blog mehr über die Schüler die Stipendien brauchen, Bankverbindungen und genaue Kosten. Bis dahin überlasse ich unseren Schülern das Wort, die sagen: Danke Frau Schrage!

Arturo, Eric, Christian, Alejandro(mit viel Geld), Alberto, Maestra Rosa, Mauro, Profesor Jesus und Moises sagen Danke

Mein neuestes Projekt (2)

Der vielleicht ohrwurmtraechtigste Sound auf den Strassen Pueblas ist das Gasauto. Nun ja, nicht jedes Gasauto, denn je nach Firma unterscheidet sich der Soundtrack, in Chiapas ziehen einige Gasautos auch Ketten hinter sich her, deren Rasseln meilenweit zu hoeren ist. In meiner Wohnung bei Familie Lecona hatte sich der Gasmann auf „Eye of the Tiger“ festgelegt.

Hier der Sound aus der Innenstadt, ein Jingle, den jeder Pueblavisitant nach einigen Tagen mitsummen kann:

Mein Wetterbericht

Das Wetter ist schon ein Schwein. Jetzt mal ehrlich! Immer, wenn man am dringendsten drauf zählt, lässt es einen im Stich!

Ich sehe schon, breites Grinsen auf den Gesichtern meiner in Deutschland sitzenden Leserschaft: Mal wieder habt ihr die besseren Karten gezogen. Lukas schreibt, er werde gekocht wie ein Krebs, Sonja blogt, neben ihr sei ein Baum in Flammen aufgegangen, meine Eltern berichten von fast 40 Grad Hitze – und ich? Ich sitze ja bloß im Land der Sombreros, dort, wo angeblich die Wüste Kakteen gedeien lässt und alle in den Mittagsstunden Siesta machen. Aber denkt euch bloß: Siesta macht hier keiner. Und Sombreros schützen auch vor Regen. Und Kakteen…. aus irgendeinem Grund sind die noch immer nicht abgesoffen!

Aber ich habe langsam die Schnauze voll. Klingelt mich morgens der Wecker wach sehe ich vor dem Fenster eine graue, Sauerländische Suppe und wenn ich Abends nach Hause komme dann bin ich nicht nur platschnass, nein, das Wasser gurgelt auch fröhlich aus einem Loch im Badezimmer und sickert durch das Flachdach (es gibt in Puebla eine Regenzeit – trotzdem haben alle Flachdächer und natürlich lässt eigentlich jedes davon Wasser durch!).

Im Winter hingegen – ich freute mich grade über milde Temperaturen und Sonnenschein, da erreichten mich Meldungen von unglaublichem Schneefall in Deutschland. Es gab mehr Schnee als ich je gesehen habe – und ich war nicht da.

Wetter. Pah!

Mein Wahltag

 

“Wahltag ist Zahltag” hatte die NPD mal auf ihre Plakate gedruckt und damit gemeint, dass man es den bösen bösen Buben im Bundestag so richtig zeigen könne, wenn man nur die besorgten Bürger mit patriotischer Grundeinstellung über die Fünfprozenthürde hebe. Bisher hat das zum Glück noch nicht geklappt – vielleicht sollten sich unsere braunen Brüder mal Nachhilfeunterricht in Mexiko nehmen, wie das mit dem bezahlen so ist.

Der dritte, chancenlose, Kandidat im Rennen.

Die Mexikaner hatten nämlich diesen Sonntag das Vergnügen neue Bürgermeister, Landesparlamente und Gouverneure zu wählen. Und die haben das mit dem Zahltag ganz anders verstanden als die glatzköpfigen Brandstifter in Alemania: Zum einen, weil sie unglaublich viel Geld in den Wahlkampf gesteckt haben (man deutete mir, es gebe für den Gewinner auch viel zu holen), andererseits, weil sie ihren potentiellen Wählern weit mehr geboten haben als das zweifelhafte Vergnügen von Rassisten und Hetzern regiert zu werden. Nein, in Mexiko ist der Wahlkampf ganz handfest; bei mir zumindest kam das Gefühl auf, hier werde der Wähler ganz offen bestochen.

Da plakatiert etwa das konservative Bündnis um die PAN: “Ein Traktor für alle 10 Hektar Land” – ob einGroßgrundbesitzer dann gleich mehrere Traktoren abbekommt weiß ich

Mauern zu bemalen ist in Mexiko nicht nur zu Wahlzwecken üblich

nicht. In der Sozialsiedlung la Margarita warben sie damit die lädierten Häuser gratis zu streichen. Die eher linke PRI (Partei der institut- ionalisierten Revolution – was für ein Name!) umwarb hingegen Familien mit dem Versprechen, Schuluniformen und Schulmaterialien gratis zu stellen. Nebenbei feierten sie im Parque Juarez eine “Gesundheitsmesse” wo um ihr Wohlbefinden bangende Bürger sich mit Wi-Fi Spielen fit halten konnten, auf Massageapparaten durchgerüttelt wurden, von Assistenten den Blutdruck gemessen bekamen und so ganz nebenbei mit dem Ohrwurm “Wir wählen alle Zavala, er ist ein ehrlicher Mann!” eingetrichtert. Beide Parteien verteilten an Straßenkreuzungen und in der Stadt Medikamente, Energiesparbirnen, WM-Planer und dergleichen mit der jeweiligen Parteiaufschrift.

In der Margarita wird grossflächig geworben!

Man kann hier also schon eine Tendenz erkennen, die ich in Deutschland höchstens bei der FDP und ihren Hotelierfreunden sehen möchte.

Es gibt aber auch Werbung, die ganz einfach auf die Botschaft setzt: Wir sind nette Menschen. Und weil man das nicht so einfach glaubt, widerholen die verschiedenen Parteien diese gute Nachricht einfach zehntausendmal und in überraschend phantasievollen Formen: Es gibt die üblichen Plakate in riesig, in Pappe und auf Zellophan (nicht sehr langlebig), es gibt riesige Gasballons, Menschen die Banner während der Rotphase der Ampel hochhalten, an Wände gemalte Parolen, Auto- und Busaufkleber und mit Lautsprechern bestückte Wagen die schlecht gereimte Liedchen spielen. Es gibt Hundertschaften von bezahlten Studenten die im Häuserkampf eins zu eins um Stimmen ringen. Es gibt natürlich Fernseh- und Radiospots, die in ihrer Fähigkeit zum nerven nur noch von denen des Institutes für Wahlen übertroffen werden.

Das wahlweise Nationale oder Bundesstaatliche Institut für Wahlen hat nämlich seine ganz eigene Wahlkampagne laufen um die Bürger von der imensen Wichtigkeit der Wahl zu überzeugen und ganz nebenbei auch noch zu erklären, wie das eigentlich funktioniert mit der gelebten Demokratie. Leider begann der Djingle „Wir gehen wähleeeeen! Ganz Puebla geht wähleeeeeen! Diesen 4. Juli geht ganz Puebla wähleeeeeen!Diese Wahl machst du, und mit deiner Stimme, machen wir es alle!“ schon im Mai mich zu nerven und wurde am 3. Juli noch immer widerholt. Die Wahlbeteiligung ist trotzdem erschreckend niedrig: angeblich 30 Prozent.

Alles in Allem freute ich mich allerdings auf diese Wahl. Ganz Puebla schien aufgeregt zu sein, überall wurde heiß diskutiert und dargelegt, warum alle Politiker korrupt sind, warum Zavala ein ehrlicher Mensch sei oder warum sein Gegner eigentlich der bessere Kandidat sei. Die einen hielten überhaupt nichts davon zu den Urnen zu gehen, die anderen folgtem dem Aufruf einiger anonymer Plakate, die Wahl zu annulieren. Und bestimmt gab es einige, die nur wählen gingen, um nachher mit ihrem eingefärbten Daumen in Laden nebenan Rabatt zu bekommen….

Wahlkabine in Mexiko - zumindest öffentlich findet die Wahl statt

Am Sonntag- morgen waren dann bereits alle Wahllokale aufgebaut, eins praktischerweise direkt in der Einfahrt unseres Hauses. Da standen dann eine wakelige Wahlkabine, drei Urnen aus Papier und Plastik und ein Tisch mit drei Wahlhelfern, der Fingerfarbe, den Wahlzetteln und einem dicken Buch in dem die Wählerausweise aller für dieses Lokal registrierten Wähler

Wahlurnen

abgebildet waren. Meine Mitbewohnerin Itzel hatte jedoch Pech: Obwohl die Wahlurne nur 50 Meter vor ihrer Haustür stand war sie aus irgendeinem Grund für ein ganz anderes Kabinchen eingetragen worden und musste sich erstmal auf die Suche machen, wo das denn wohl zu finden sei.

Meine Mitbewohnerin Itzel will wählen

Und eben das war wohl vielen Mexikanern zu anstrengend. Jedenfalls blieb es den ganzen Tag über ruhig. Vielleicht lag das auch an der Alkoholsperre, die seit Freitagnacht verhängt worden war: Wer konnte schüttete sich am Freitag nochmal so zu wie er konnte, um das Wochenende zu überstehen…. Kater also garantiert.

Gewonnen hat in Puebla übrigends die Opposition PAN. Das erste Mal seit gut 80 Jahren, dass nicht die PRI den Gouverneur stellt – eine kleine Revolution.

Im beschaulichen Puebla fast unbemerkt ist in anderen Teilen des Landes die Wahl nicht ganz so ruhig verlaufen.

Mein neuestes Projekt

In Mexiko ist es ganz schön laut. Finde ich. Die Busse rören, Läden beschallen ganze Straßenzüge mit ihrer Musikauswahl und irgendwo brüllt immer irgendwer: „Aaaaaaagua!!!!!“ oder „Hay Gaaaaaaaaaaaaaaaaas!!!“. Es sind oft Geräusche, die es in Deutschland nicht gibt. Es sind Geräusche, die es manchmal nichtmals in anderen Teilen Mexikos gibt, nur hier in Puebla. Etwa wenn der Gaswagen vorbeifährt und seine Melodie abspielt – die ist teilweise in jedem Viertel eine andere!
Es gibt also viel zu hören. Und das will ich euch näherbringen. Also schnell das Mikro gezückt, ein Foto geschossen, einen Youtubeaccount eröffnet und schon geht’s los mit Nr.1 der Projektes „Mexiko in Ton und Bild“ – dem Annanasverkäufer.

Mein zweiter Gastbeitrag

Meine Mitfreiwillige Lisa hält auf ihrem Blog ganz treffende Beobachtungen zum mexikanischen Hygieneverhalten fest. Das soll euch nicht verborgen:

Bisher blieb ich in Mexiko vor allen schlimmen Krankheiten, die mir davor prophezeit wurden (Schweinegrippe, Malaria, Tollwut) verschont.

Doch kleinere Infekte haben mich schon eingeholt. Das Schlimmste daran sind im Grunde meine Mitmenschen, die es zwar alle nur gut meinen, aber generell gilt, dass die Mexikaner ein gestörtes Verhältnis zu Krankheiten haben bzw. dazu wie man sie bekämpft. Bei einem kurzen Husten soll man sich am besten gleich eine Spritze verpassen lassen, bei Kopfscherzen ebenfalls und bei einer kleinen Magenverstimmung hilft nur Antibiotika.

Arzneimittel kann man fast alle rezeptfrei in den vielen Apotheken kaufen, die mit lauter Musik, tanzenden Bären vor den Geschäften oder Bannern wie „Lo mismo pero más barato“ also das gleiche bloß billiger, auf sich aufmerksam machen.

Wenn man sich hier mal Arztpraxen anschaut oder einfach gewisse typische Verhaltensmuster, dann kann man verstehen wie in einem Land wie Mexiko, die Schweinegrippe ausbrechen konnte. Wartezimmer befinden sich oft in „Vorzimmer“, die manchmal nicht mal eine Tür haben sozusagen Stühle, die einfach vor die Praxis gestellt wurden. Gegessen wird sehr viel mit den Fingern oder nur mit Löffeln und das Fleisch wird mit der Hand zerrissen. Die geliebten Salsas findet man in jedem Restaurant offen auf den Tischen stehen, in denen dann jeder mit seinem Löffel drin rumrührt.

Aber naja, wer weiß ob das Gründe für meinen momentanen Husten sind. Schließlich läuft jeder gleich mit einem Mundschutz rum, wenn er einen Anflug von Schnupfen verspürt. Ich hoffe nur, dass ich mich vor der Spritze, die mir mal wieder jeder verpassen will, retten kann.“

Mein Knastbruder

Ich komm jetzt immer pünktlich zur Arbeit. Jeden Tag! Und ich schlafe Abends zu vernünftigen Zeiten ein. Und ich habe Zeit für Dinge, für die fernsehsüchtige Menschen mit Fernseher keine Zeit haben. Und trotzdemvermisse ich ihn ein wenig, den grauen Kasten, der das Wohnzimmer dominierte und eigentlich immer lief, auch (oder grade) wenn Rosy mit 4 Kolleginnen den ganzen Tag Papierarbeit im Wohnzimmer nachholt – und dann auf voller Lautstärke. Aber nun ist er weg. Pech gehabt, Bruder geht vor!
Und das war so:
Sonntagabend sitzt Philipp ganz relaxt auf dem Sofa und schaut fern, es läuft eine sachte Hollywoodkomödie. Auf einmal springt die Tür auf und mein Bruder Beto stürmt herein: „Hi Bruder, muss ausmachen, wir nehmen den Fernseher mit.“ und ehe er noch ausgesprochen hatte war das Bild auch schon weg. Weiter sprang mein Bruder in sein Zimmer und liess mich mit zwei fremden Menschen im Wohnzimmer zurück, die anfingen, den alten PC einzupacken. „Was ist los?“ „Jorge ist festgenommen worden, wir müssen noch heute die Kaution bezahlen, sonst kommt er in den richtigen Knast.“
So wie Beto „richtiger Knast“ sagte, verstand ich, dass man seinen Bruder da nicht haben will. „Kommste mit?“ fragte er und packte sich das TV Gerät – in Ermangelung von Internet und Fernsehen sagte ich ja.
Es folgte eine wilde Fahrt zu einem der beiden Fremden. Sein Vater wuerde uns gegen die Sicherheit einiger Elektrogeräte etliche tausend Pesos leihen. Die zweite Begleiterin war, wie sich herausstellte, die neue Freundin von Beto. Mit einem Bündel Scheinen in der Tasche ging es weiter in rasender Fahrt und mit Mariachimusik im Radio zu Andrea, Jorges Freundin, die weitere Scheinchen auf den Haufen legte. Zu fünft brausten wir weiter durch die Nacht nach San Andres Cholula, wo mein Bruder Jorge seit vier Uhr in der Früh hinter schwedischen Gardinen sass.

fast sieht er traurig aus....


Die Geschichte, warum er dort sass und wieviel Geld wir bräuchten und ob man die geschätzten 20.000 Pesos (ca. 1300 Euro) irgendwann wiedersehen würde – darüber gab es viele Meinungen und noch mehr Spekulation, doch bis heute weiss ich nicht wirklich was passiert ist!
Bis zwölf Uhr Nachts mussten wir uns noch gedulden, die tägliche Abhebesumme war für Sonntag ausgeschöpft, die letzten tausend Pesos mussten also am Montagmorgen um 12:03 Uhr abgehoben werden. Und dann konnten wir ihn endlich wieder in die Arme schliessen, nachdem er einen ganzen Tag in einer kleinen, stinkenden Zelle gehockt und seine Unschuld beteuert hatte.
Laut Jorge, hatte es eine Schlägerei vor seinem Club gegeben, einige Freunde waren involviert, Jorge und seine Arbeitskollegen kamen hinzu um zu schlichten. Eine Flasche ging auf einem Schädel zu Bruch, eine Windschutzscheibe zersprang und verhaftet wurde… nur Jorge, der mit dem ganzen gar nichts zu tun hatte. Wie er sagt. Mama Rosy ist nur froh, dass sie ihren Jungen wieder hat. Dass der die Familie mal eben um 8-9 Monatseinkommen gebracht hat… das macht doch einen echten Mexikaner nicht wild!

Irgendwie gibt er immer den strahlenden Sieger - sogar im Knast!

Meine fröhliche WG

Es heißt, wir Freiwilligen lebten in Gastfamilien oder im Projekt. Nicht erst der Umzug meiner „Cousine“ Lauryn hat bewiesen, dass das nicht so ganz stimmt. Auch ich verbreite lieber das Gerücht, dass ich in einer Studenten WG lebe, obwohl ich doch ganz offiziell in einer Familie residiere.

Ich habe das stets behauptet, weil es ein bestimmtes WG-Lebensgefühl gibt, das jeder kennt, der mal in einer gewohnt hat. Da ist, im Vergleich zur Familie, diese Unverbindlichkeit, die Freiheit zu gehen und zu kommen, wann man will. Da ist das Leben, dass sich mehr im eigenen Zimmer abspielt als in den Gemeinschaftsräumen. Da ist der ständige Streit darüber, wer einkaufen und wer abspülen muss… Und damit bin ich bei meinem Lieblingsthema angelangt.

Ich bin von meiner echten Mutter schon für die harschen Worte über meine Gastfamilie ausgescholten worden und will daher versuchen, etwas zurückhaltend zu sein. Allerdings hat meine Gastmutter jetzt ein Kommunikationskonzept aufgegriffen das so „WG“ ist, dass ich mich fast weigern müsste, weiterhin von Gast“familie“ zu sprechen: Die Zettelkommunikation!

Sie betrifft einen wichtigen Punkt des gemeinsamen Wohnens: Nein, nicht das Klopapier das dann und wann fehlt, sondern die Küche. Die ist nämlich oftmals nicht zu benutzen, weil sich der Abwasch auf allen Freiflächen stapelt und unsere Putzfrau nur einmal die Woche kommt. So scheinheilig es klingt – ich entziehe mich da jeder Verantwortung, da ich mindestens all mein Geschirr abwasche; manchmal ein wenig mehr.

Jetzt jedenfalls ist auch der WG-Chefin die Sache zu bunt geworden und sie hat folgendes verkündet:

"Halten wir das Haus sauber!! Rosy, Beto, Jorge und Philipp, bitte!!"/ "Wenn du isst - wasch deine Sachen ab. Die Senora kommt nur einmal die Woche!"

"Wenn du Geschirr benutzt - wasch es ab. Hochachtungsvoll Ich"

Und hier sind sie, die Unheilstifter, alle beisammen: (v.L.)Beto, Philipp, Cousine Di, Jorge, Rosy.

Pizza, Bier und Fußball - eine der wenigen gemeinsamen Aktivitäten