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Mein Dankeschön

Auch wenn es sich für mich immer noch nicht so anfühlt – ich mache hier in Puebla

Ich und mein Lieblingsschueler Jahaziel

ehrenamtliche Arbeit, einen

Freiwilligendienst eben, und ich helfe Menschen, die Hilfe benötigen. Wie wenig weit entwickelt mein Projekt ist, und mit wie vielen Schwierigkeiten, vor allem finanzieller Art, die Schule zu kämpfen hat ist mir erst bewusst geworden, als wir gestern ein Video des deutschen Projektes Neuerkerode gesehen haben.

Auf einmal werden einem Dinge wieder bewusst, die man schon für ganz normal gehalten hat. Etwa, dass das Klo in

un

serer Schule mit dem Eimer gespühlt wird, dass einige Bereiche nicht mit dem Rollstuhl zu erreichen sind, dass immer mal wieder ein Schüler nicht mehr zur Schule kommt, weil die Eltern das Schulgeld nicht bezahlen können.

In Neuerkerode, so sagte zumindest der Sprecher im Video, gibt es fast eine 1 zu 1 Betreuung. In Neuerkerode  üben die Bewohner Berufe aus. In Neuerkerode gibt es ein medizinisches Zentrum in dem die Bewohner rund um die Uhr Hilfe suchen können. Es

Alberto hat sich schik gemacht – auch sonst traegt er am liebsten eine Krawatte, da kann man so schoen dran knabbern 😉

gibt ein Cafe, Rockbands, Baeckereien und und und…. Zeit zum träumen.

In Cipaac , Puebla, Mexiko fehlt noch immer das Geld, um dem Bulli einen neuen Reifen zu kaufen – und so fahren wir seit einem Monat mit dem Reserverad durch die Gegend. Keine Ahnung, was passiert, wenn der auch platt ist! In Cipaac wurde der wöchentliche Kochkurs nicht gestrichen, aber auf kalte Küche umgestellt, weil das Geld für Gas fehlt. In Cipaac schreibt Maestra Alejandra jedem Schüler die Aufgaben aus einem Buch ab, weil man es sich nicht leisten kann, die Seiten zu kopieren.

Um so wichtiger ist jeder Cent, der von jeder erdenklichen Seite ins Projekt fliesst. Darum malen die Schüler zum Beispiel jeden Mittwoch fleissig Stofftaschen an, die dann für ein paar Münzen verkauft werden. Einen Teil davon dürfen die Schüler als Taschengeld behalten, der andere Teil fliesst in Stromrechnungen und Lehrergehälter.

Und dann das: Philipp drückt einem Deutschlandreisenden einen Haufen Taschen in die Hand, der schickt sie nach Halver wo sie im mütterlichen Laden verkauft werden sollen. Oma Erna sieht das, nimmt mit ihrem unnachgiebigen Verkaufstalent die Sache in die Hand und bringt die Dinger an den Mann. Was für eine Oma! In Mexiko verkauft sich eine Tasche für zwei Euro, wenn der Käufer gute Laune hat, meine Oma hat durchschnittlich 10 rausgeholt und noch ne ordentliche (!!!!!!!) Stange Geld aus eigener Tasche draufgelegt.

Zeit zu sagen: Danke Oma!! Vielen, vielen Dank liebe Oma für so viel Engagement, für die Leidenschaft und die erpresserischen Metoden mit denen du Nachbar Pit das Geld aus der Tasche gezogen hast. Es ist angekommen und wir in diesen Sommerferien in die modernisierung der Schule gesteckt und auch die Lehrerinnen erhalten hoffentlich endlich ich verspätetes (und sehr knappes) Gehalt. Danke!

Gleichzeitig möchte ich alle anderen, die noch den ein oder anderen Cent in der Tasche finden, dazu anregen, Stifter eines Stipendiums zu werden. Cipaac hat Platz für mehr Schüler. Cipaac möchte mit mehr Schülern arbeiten – nur können sich leider nicht sehr viele Familien das Schulgeld leisten, auch, wenn es viel weniger als hundert Euro im Monat sind.

In Kürze erfahrt ihr hier auf dem Blog mehr über die Schüler die Stipendien brauchen, Bankverbindungen und genaue Kosten. Bis dahin überlasse ich unseren Schülern das Wort, die sagen: Danke Frau Schrage!

Arturo, Eric, Christian, Alejandro(mit viel Geld), Alberto, Maestra Rosa, Mauro, Profesor Jesus und Moises sagen Danke

Mein Winterende

Habe ich nicht schon über Widerholungen geschrieben? Ganz sicher, man widerholt sich im Leben schon mal. Schon als Kind hat mich das gestört: „Mama, warum muss ich mir die Zähne putzen, wenn sie doch gleich wieder dreckig werden?“
Erwachsenwerden heißt, unter anderem, mit Widerholungen zurechtzukommen. Es mag an meinem übermäßig kindlichen Gemüt liegen, dass ich sie noch immer nicht leiden mag – ich mag zum Beispiel selten einen Film zweimal sehen – aber Tatsache ist, dass ich sie inzwischen aushalten kann. Aushalten muss!
Denn zufällig habe ich mich für einen Freiwilligendienst in einer Schule für geistig Behinderte beworben und musste lernen, dass man dort mit wenigen Worten auskommt – man widerholt sie nur sehr häufig. Heute etwa arbeitete ich mit Mario, den man alle paar Sekunden daran erinnern kann, seine (erstaunlich lange!) Zunge wieder einzurollen. Wenn ich jetzt so darüber nachenke: Vielleicht ist seine Zunge ja einfach zu groß für seinen Mund! Aber auch andere Schüler lieben Widerholungen: Richy liebt es mir zehnmal am Tag die Hand zu zerquetschen (ich habe das Gefühl er wird langsam immer stärker!), Jahaziel bittet alle paar Minuten um eine kleine Massage, Beto geht lieber noch einmal auf Nummer sicher, ob man Tomaten mag „A usted! Gustan Jitomates, a usted!“ und wenn Christian nicht fragt „Senor, donde estamos?“, Herr, wo sind wir? dann liegt irgendwas im argen.

Aber was plapper ich schon wieder von meinen Schülern? Wo doch Widerholung nichts mit geistiger Behinderung zu tun hat. Auslöser kann auch eine fremde Staatsbürgerschaft sein. Deutsch zu Beispiel. So werde ich fast jeden Tag von irgendwem für mein gutes Spanisch gelobt und muss dann erklären, wie es dazu kommen konnte. Agnes, die seit drei Jahren hier lebt, ergeht es nicht anders.
Und dann noch das: „Wie, dir ist kalt? Du kommst doch aus Deutschland!“

Ja, es ist wahr: Ich komme aus Deutschland. Und ja, es stimmt: Dort ist es sehr viel mehr ganz dolle ziemlich kälter als hier. Es liegt sogar Schnee,ein Stoff der so wertvoll ist, dass man bei Ebay 130 Euro für ein kleines Tütchen bezahlen muss, und der damit unerschwinglich für die meisten Mexikaner bleibt. Und, hey, so kalt ist es hier doch gar nicht! Tagsüber lag das Minimum bei knapp unter zehn Grad, Nachts kann es halt mal gut Null werden, aber das ist doch gar nichts! Sagt sich ein deutscher Sesselpupser, und damit bist genau DU gemeint, werter Leser. Oder ICH, zumindest bis vor wenigen Wochen dachte ich noch so.
Dann aber erlebte ich, was es wirklich bedeutet diese Temperaturen in Mexiko zu erleben. In einem Land in dem es keine Heizungen gibt. In dem Unter den Haustüren eine Zentimetergroße Lücke Luft hereinlässt. Indem Fensterscheiben noch immer einfach verglast und in Aluminium geramt sind. In dem folglich die Temperatur im Haus der Temperatur vor dem Haus entspricht.
Halt!
Eigentlich ist es noch viel kälter. Denn die Häuser sind so schön aus Stahlbeton, dass die Sonne, die draußen alles ein bisschen erwärmt, ihre Kraft nicht bis in die Wohnräume tragen kann.
Darum sitzt man dann also in Winterjacke beim Mittagessen. Darum schläft man mit Schlafsack unter drei Decken. Darum ist man nach einigen Tagen Kälte so zermürbt, weil es nirgends einen Ort zum aufwärmen gibt, dass man am liebsten das Mobiliar anzünden würde um wenigstens etwas Hitze zu spüren. Aber wenigstens kann man dann mal die neueste Mode ausprobieren:

Doch es gibt auch gute Nachrichten von der hiesigen Kältefront: Sie geht schnell wieder vorbei. Sicherlich, noch immer laufen hier und da Leute mit Schal vor dem Gesicht und dicker Pudelmütze rum. Aber in Wirklichkeit ist bereits Frühlingswetter, Pulliwetter, Sonnenschein und Fröhlichkeit. Winterende!

Und wenn das immer noch nicht reicht gehe ich mal wieder zum Tomatenpflücken in das Projekteigene Gewächshaus. Mehrere Tonnen haben wir da jetzt schon rausgeholt. Zum Beispiel mit Jahaziel:

Mein ieh-bäh

Kacke am Arm. Muss das sein? Anscheinend schon.

Die Schüler in meinem Projekt sind relativ selbständig. Sie können sich die Schuhe selber anziehen, die meisten können schreiben und sogar rechnen, ja sogar Handys bedienen einige. Und ja: Sie können auch alleine aufs Klo gehen.

Bis auf Christian. Der es nicht kann. Der es aber trotzdem macht.

Und da heute niemand anderes da war bin ich hinterher. Christian stand inzwischen bereits vor der Kloschüssel (es gibt extra ein RIESIGES Pissoir), hielt mit beiden Händen sein T-shirt hoch und schaffte es ziemlich genau die Zielscheibe zu treffen welche durch die hochgeklappte Klobrille gebildet wurde. Mit anderen Worten – es ging recht viel daneben.

Kein Problem, wozu gibt es Wasser und Putzlappen? Also schnell das tropfende Schniedelchen abgetrocknet während Christian die Wand anleckt und schon kann es…. oh nein! Christian muss auch groß!
so ähnlich sah es aus
(Beispielbild – nicht authentisch)

Patsch! Sitz er auf der triefenden Klobrille und, oh nein, er muss auch noch mehr Pinkeln. Im Matrix-Style weiche ich dem gelben Strahl aus, der weit übers Ziel hinaustrifft.
Nach einigen Plumpsgeräuschen brummt Christian zufrieden und es ist Zeit sich den Hintern abzuwischen. Aber – oh je! – ich bin schlecht vorbereitet und erreiche das Klopapier erst, als seine bloße Hand bereits mit der Arbeit begonnen hat.
„Christian!“, rufe ich und will ihn stoppen. Das nervt Christian allerdings, also schlägt er unwirsch nach mir.

Und zwar mit welcher Hand?

Mein Geduldsfaden

Es gibt diese Fragen, die wird man einfach nicht los. Die werden einem immer und immer wieder gestellt – und doch bleibt jeder Versuch einer Antwort irgendwo zwischen „ich hab’s versucht“ und „das kann man nicht beantworten“ stecken. Als Europastudent ist man da auf jeden Fall einiges gewöhnt – „was macht man dann damit?“ ist die Frage die vermutlich der Mehrheit meiner Komilitonen einen Schauder über den Rücken jagt. Und das, obwohl man ungefähr jede Woche neu gefragt wird.
Seit ich mich für mein Jahr in Mexiko beworben habe ist eine weitere Frage aufgetaucht, die ich nicht ordentlich beantworten kann: „Warum willst du einen Freiwilligendienst absolvieren?“
Die Antwort fällt nicht grade eindeutig aus: Es passt ganz gut ans Ende des Studiums; ich weiß nicht genau was sonst tun; ich wollte mal ein Jahr im Ausland leben; neue Erfahrungen sammeln; etwas von dem guten Leben das ich habe zurück geben; Neues lernen…. Die Liste ist lang.
Kaum war klar in welches Projekt ich komme veränderte sich die Frage ein bisschen: Warum willst du in diesem Projekt einen Freiwilligendienst absolvieren?
Und auch die Antwort veränderte sich. Sie wird nämlich noch schwammiger. Eine einzige konkrete Sache ist mir eingefallen: Ich will Geduld lernen. Und dazu hatte ich heute eine wunderbare Lerneinheit.
CIPAAC

Ich habe mich nämlich heute mit Diego vergnügt, ein kleiner, bärtiger Mann der unglaublich viel redet, unglaublich gerne wehleidig ist und die Fähigkeit besitzt in sekundenschnelle zu Vergessen. Außerdem nennt er mich Felit, wenn ihm mein Name einfällt.
Heute habe ich Diego gefragt, ob er zählen kann. Klar!
Zähl mal.
Eins, zwei, drei, vier, fünf, acht, vier, neun, was macht Alejandra?
Diego, schau her: Welche Zahl ist das?
Sechs? – es war eine eins.
Ich begann also mit etwas, das ich für sehr einfach hielt. Ich zeigte Diego abwechselnd zwei Klötze mit den Zahlen eins und zwei drauf, sagte: Das ist eine Eins. Was ist das?
Eine Eins.
Und das hier ist eine Zwei. Welche Zahl ist das?
Eine Zwei.
Und diese hier? – es war wieder die Eins.
Eine Fünf!
Ich wiederholte das Spielchen vier oder fünf Mal, bis mich eine Betreuerin stoppte: Du musst es einfacher machen! Und wir machten es einfacher: Wir lernten die Eins. Eine halbe Stunde lang.
Diego malte eine Trommel aus und die große Eins daneben während ich ihm erzählte, dass er EINE Trommel ausmalt, eine EINS – immer und immer wieder.
Nach einer halben Stunde waren wir fertig – Diego mit dem Malen und ich mit meinen Nerven. Wenn ich hier keine Geduld lerne, dann weiß ich auch nicht wo.
Die Eins hat Diego leider danach wieder vergessen…