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Mein Knastbruder

Ich komm jetzt immer pünktlich zur Arbeit. Jeden Tag! Und ich schlafe Abends zu vernünftigen Zeiten ein. Und ich habe Zeit für Dinge, für die fernsehsüchtige Menschen mit Fernseher keine Zeit haben. Und trotzdemvermisse ich ihn ein wenig, den grauen Kasten, der das Wohnzimmer dominierte und eigentlich immer lief, auch (oder grade) wenn Rosy mit 4 Kolleginnen den ganzen Tag Papierarbeit im Wohnzimmer nachholt – und dann auf voller Lautstärke. Aber nun ist er weg. Pech gehabt, Bruder geht vor!
Und das war so:
Sonntagabend sitzt Philipp ganz relaxt auf dem Sofa und schaut fern, es läuft eine sachte Hollywoodkomödie. Auf einmal springt die Tür auf und mein Bruder Beto stürmt herein: „Hi Bruder, muss ausmachen, wir nehmen den Fernseher mit.“ und ehe er noch ausgesprochen hatte war das Bild auch schon weg. Weiter sprang mein Bruder in sein Zimmer und liess mich mit zwei fremden Menschen im Wohnzimmer zurück, die anfingen, den alten PC einzupacken. „Was ist los?“ „Jorge ist festgenommen worden, wir müssen noch heute die Kaution bezahlen, sonst kommt er in den richtigen Knast.“
So wie Beto „richtiger Knast“ sagte, verstand ich, dass man seinen Bruder da nicht haben will. „Kommste mit?“ fragte er und packte sich das TV Gerät – in Ermangelung von Internet und Fernsehen sagte ich ja.
Es folgte eine wilde Fahrt zu einem der beiden Fremden. Sein Vater wuerde uns gegen die Sicherheit einiger Elektrogeräte etliche tausend Pesos leihen. Die zweite Begleiterin war, wie sich herausstellte, die neue Freundin von Beto. Mit einem Bündel Scheinen in der Tasche ging es weiter in rasender Fahrt und mit Mariachimusik im Radio zu Andrea, Jorges Freundin, die weitere Scheinchen auf den Haufen legte. Zu fünft brausten wir weiter durch die Nacht nach San Andres Cholula, wo mein Bruder Jorge seit vier Uhr in der Früh hinter schwedischen Gardinen sass.

fast sieht er traurig aus....


Die Geschichte, warum er dort sass und wieviel Geld wir bräuchten und ob man die geschätzten 20.000 Pesos (ca. 1300 Euro) irgendwann wiedersehen würde – darüber gab es viele Meinungen und noch mehr Spekulation, doch bis heute weiss ich nicht wirklich was passiert ist!
Bis zwölf Uhr Nachts mussten wir uns noch gedulden, die tägliche Abhebesumme war für Sonntag ausgeschöpft, die letzten tausend Pesos mussten also am Montagmorgen um 12:03 Uhr abgehoben werden. Und dann konnten wir ihn endlich wieder in die Arme schliessen, nachdem er einen ganzen Tag in einer kleinen, stinkenden Zelle gehockt und seine Unschuld beteuert hatte.
Laut Jorge, hatte es eine Schlägerei vor seinem Club gegeben, einige Freunde waren involviert, Jorge und seine Arbeitskollegen kamen hinzu um zu schlichten. Eine Flasche ging auf einem Schädel zu Bruch, eine Windschutzscheibe zersprang und verhaftet wurde… nur Jorge, der mit dem ganzen gar nichts zu tun hatte. Wie er sagt. Mama Rosy ist nur froh, dass sie ihren Jungen wieder hat. Dass der die Familie mal eben um 8-9 Monatseinkommen gebracht hat… das macht doch einen echten Mexikaner nicht wild!

Irgendwie gibt er immer den strahlenden Sieger - sogar im Knast!